Kolumne: Horacio Classic 1

Kolumne: Horacio Classic 1

August 22, 2024

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“ Zum einen die Seele, die für lange schlanke Formate brennt. Es ist einfach herrlich, wie sich bei diesen Zigarren filigrane Aromen in fast endloser Folge entfalten. Aber auch große Ringmaße haben ihren Reiz: kräftig, intensiv und etwas duldsamer beim Rauchen. Man neigt dazu, sich im Kopf solche Schubladen einzurichten, bis etwas kommt, dass sie wieder durcheinanderbringt.


Die Horacio Classic No. 1 ist eine Lancero im Körper einer Toro. Trotz ihres handfesten Äußeren, ihres drallen, festgewickelten Leibs und ihrem großen Ringmaß ist sie geschmacklich doch eine relativ sanfte Persönlichkeit. Der erwartete herbe Kaltgeruch bleibt aus und man riecht zarten Honig. Der Kaltgeschmack offenbart, dass der Honig aus vollen gelben Blüten stammen muss.
Die ersten Züge tauchen den geneigten Raucher in die wohlige Melancholie des Spätsommers. Süße Wehmut, etwas Mandel und eine mysteriöse Prophezeiung von Holz, die sich im weiteren Verlauf bewahrheiten wird. Denn dem folgenden Aromenspiel würde man mit „Holznoten“ nicht gerecht werden. Man erlebt die filigranen Facetten einer barocken Intarsienarbeit. Es ranken sich Eben- und Zedernholz um Blumen aus heller Eiche. Dann entsteigt diesem hypnotisierenden Muster ein angenehmes mineralisches Prickeln. Die Holznoten verschwinden langsam in einer schokoladigen Dunkelheit. Bei so mancher Zigarre frage ich mich selbst, wie ich auf diese Metaphern komme, bei dieser Toro habe ich sogar eine Antwort darauf: Ich hatte beim Genuss über zwei Stunden Zeiten, sie langsam und gemütlich entstehen zu lassen.


Die Horacio Classic No. 1 ist eine dieser Zigarren, bei der es mir schwergefallen ist, mich mit ihr im beruflichen Kontext auseinander zusetzten. Die Theorie und der Tastingbogen waren eher störendes Beiwerk. Der Abend mit ihr war einfach zu schön, der Sonnenuntergang über Augsburg einfach zu prächtig und die Gedanken nun ja, Sie haben es ja gelesen.


Aber einen technischen Hinweis möchte ich dennoch geben: es gibt eine Technik, die verhindert, dass eine Zigarre nach einer Weile zu herb wird. Das sogenannte Entgasen bzw. Degasieren hat mir schon so manche Zigarre zugänglicher gemacht. Im ersten Schritt streift man die Asche gründlich ab, es mag dem Aschefetischisten wehtun, ist aber nötig. Dann hält man eine Flamme an den noch glühenden Zigarrenfuß und pustet hindurch. Der Zigarre entsteigt eine beeindruckende blaue Flamme, in der Bitterstoffe und Gase verbrennen. Man pustet solang bis die Flamme selbstständig erlischt um wieder ein weicheres, runderes Geschmackserlebnis zu haben.

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